Das Dritte Reich und die Juden by Saul Friedländer & Martin Pfeiffer
Autor:Saul Friedländer & Martin Pfeiffer
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: C.H.Beck
veröffentlicht: 2017-04-12T16:00:00+00:00
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Während in Łódź Transporte von Deportierten aus dem Reich und dem Protektorat eintrafen, begannen die Deutschen damit, einen Teil der Ghettobewohner zu ermorden. Vom 6. Dezember an waren die Gaswagen in Chelmno einsatzbereit, und am gleichen Tag befahl man Rumkowski, 20.000 von «seinen» (den einheimischen) Juden für einen «Arbeitseinsatz außerhalb des Ghettos» bereitzustellen. Die Zahl wurde schließlich auf 10.000 reduziert. Kurz danach registrierte die Chronik den plötzlichen Abbruch sämtlicher Postverbindungen zwischen dem Ghetto und der Außenwelt. Auf den ersten Blick konnten sich die Chronisten keinen Reim auf diesen Befehl machen: «Über die Unterbrechung des Postdienstes hat es verschiedene Geschichten gegeben, und eine Frage von grundlegendem Interesse war, ob es sich hierbei um ein rein lokales Ereignis handelte oder ob es im ganzen Land Einschränkungen gegeben hat. Es gibt außerdem Mutmaßungen über die Gründe, die hinter dieser letzten Einschränkung stehen.»[212] Offensichtlich konnten die Chronisten nicht schreiben, daß diese Mutmaßungen auf die bevorstehende Deportation hindeuteten.[213]
Da sich weiter Gerüchte verbreiteten, beschloß Rumkowski, das Problem am 3. Januar 1942 in einer Rede im Haus der Kultur anzusprechen: «Ich möchte nicht viele Worte machen», sagte der Älteste zu Beginn dieses Teils der Rede, wie die Chronik berichtet: «Die Geschichten, die heute im Umlauf sind, sind hundertprozentig falsch. Ich habe mich kürzlich bereiterklärt, 20.000 Juden aus den kleineren Zentren aufzunehmen, wobei ich es zur Bedingung gemacht habe, daß das Gelände des Ghettos abgeschlossen werden muß. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt werden nur diejenigen, die meiner Ansicht nach ein solches Schicksal verdienen, anderswo angesiedelt. Die Behörden sind voller Bewunderung für die Arbeit, die im Ghetto geleistet worden ist, und auf diese Arbeit ist es zurückzuführen, daß sie zu mir Vertrauen haben. Ihre Bewilligung meines Gesuchs, die Zahl der Deportierten von 20.000 auf 10.000 herabzusetzen, ist ein Zeichen dieses Vertrauens. Ich habe völliges Vertrauen zu der Umsiedlungskommission. Natürlich kann auch sie von Zeit zu Zeit Fehler machen … Denkt daran, daß im Mittelpunkt aller meiner Vorhaben das Bestreben steht, daß ehrliche Menschen in Frieden schlafen können. Menschen, die guten Willens sind, wird nichts Böses geschehen. (Donnernder Beifall.)»[214]
Sierakowiaks Notizen für die Zeit der Januar-Deportationen besitzen wir nicht, aber Rosenfeld schildert einige der Ghettoszenen in eben diesen Tagen, wenngleich nicht in genau datierten Eintragungen: «Die [jüdische] Polizei drang in die Wohnungen der zur Evakuierung aufgeforderten Juden ein. Sie fand nicht selten verhungerte Kinder, erfrorene Greise vor. Man durfte nur 12,5 kg als Gepäck mitnehmen, zehn Reichsmark an Geld. … In den Bündeln der Evakuierten lagen Brotschnitten, Kartoffeln, Margarine. … Krank sein durfte man nicht. Kein Arzt fuhr mit, keine Medikamente.»[215]
Rosenfelds Notizen erwecken den Anschein, daß er noch nicht wußte, wo die Transporte hingingen. Zwischen dem 12. und dem 29. Januar wurden 10.103 Juden von Łódź nach Chelmno deportiert und vergast.
Im Februar und im März gingen die Deportationen weiter: Bis zum 2. April waren weitere 34.073 Ghettojuden deportiert und ermordet worden. «Niemand war mehr vor der Deportation sicher», schrieb Rosenfeld, «der täglich mindestens 800 Menschen stellig gemacht werden mußten. Einzelne glaubten sich retten zu können: völlig sieche Greise und Menschen mit abgefrorenen Gliedmaßen – es half nichts.
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